Während die Debatte um digitale Souveränität in der EU oft noch theoretisch geführt wird, hat das österreichische Bundesministerium für Wirtschaft, Energie und Tourismus (BMWET) mit der Einführung von Nextcloud einen konkreten Schritt in Richtung technologischer Unabhängigkeit vollzogen. Innerhalb von unter einem Jahr ersetzte die Behörde Teile ihrer Cloud-Infrastruktur durch eine lokal betriebene Open-Source-Lösung – und sendet damit ein klares Signal: Europas digitale Zukunft darf nicht von nicht-europäischen Tech-Konzernen kontrolliert werden.
Geopolitische Risiken: Warum Cloud-Abhängigkeiten ein Sicherheitsproblem sind
Die Entscheidung des BMWET fällt in eine Zeit, in der technologische Abhängigkeiten zunehmend als strategische Schwachstelle gelten. Drei zentrale Risiken trieben das Projekt voran:
- Rechtliche Unsicherheit durch ausländische Gesetze
- US-amerikanische Cloud-Anbieter unterliegen dem CLOUD Act, der US-Behörden Zugang zu Daten ermöglicht – selbst wenn diese auf europäischen Servern liegen.
- „Als öffentliche Institution können wir nicht akzeptieren, dass sensible Daten von Unternehmen oder Bürgern potenziell von Drittstaaten eingesehen werden“, betont Florian Zinnagl, CISO des BMWET.
- Wirtschaftliche Erpressbarkeit
- Die Abhängigkeit von wenigen globalen Anbietern (Microsoft, Google, AWS) schafft Monopole, die Preise diktieren und Dienstleistungen einstellen können – wie im Fall der Kündigung russischer Cloud-Kunden 2022 gezeigt.
- Nextcloud als europäische Alternative reduziert dieses Risiko: „Wir wollen keine Geisel von Lieferketten oder politischen Entscheidungen sein“, so Zinnagl.
- Innovationsbremse durch proprietäre Systeme
- Geschlossene Cloud-Lösungen verhindern lokal angepasste Weiterentwicklungen.
- Mit Nextcloud setzt das BMWET auf eine AGPL-lizenzierte Plattform, deren Quellcode offen ist – und damit europäischen Entwicklern die Möglichkeit gibt, eigene Lösungen zu schaffen.
Schleswig-Holstein als Vorbild: Wie Deutschland die Cloud-Souveränität vorlebt
Das BMWET ist nicht allein: Das deutsche Bundesland Schleswig-Holstein hat unter Digitalminister Dirk Schrödter (CDU) bereits 2023 einen vollständigen Wechsel zu Open-Source-Software vollzogen – von Büroanwendungen bis zur E-Akte. „Dort sieht man, dass digitale Souveränität kein theoretisches Konzept ist, sondern praktizierte Politik“, erklärt Zinnagl.
Drei Lehren aus Schleswig-Holstein, die auch Österreich übernimmt:
- Konsistenz statt Kompromisse: Keine parallelen proprietären Systeme, sondern vollständige Migration (wobei das BMWET pragmatisch Microsoft Teams in Übergangsphasen weiter nutzt).
- Lokale Wertschöpfung: Investitionen fließen in europäische Serverinfrastruktur und heimische IT-Dienstleister statt in US-Konzerne.
- Strategische Allianzen: Enge Zusammenarbeit mit anderen EU-Pionieren wie Frankreich (mit seiner „Souveränen Cloud“-Initiative) oder den Niederlanden.
Warum Nextcloud? Eine Frage der technologischen Autonomie
Die Wahl fiel auf Nextcloud nicht nur wegen Datenschutz (DSGVO, NIS2), sondern weil die Plattform drei geopolitische Kriterien erfüllt:
- Europäische Governance: Der Hauptsitz liegt in Stuttgart, die Server stehen in Österreich – keine Abhängigkeit von US- oder asiatischen Rechtssystemen.
- Kein Vendor Lock-in: Die AGPL-Lizenz garantiert, dass das BMWET die Software jederzeit anpassen oder wechseln kann – ohne Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter.
- Resilienz gegen Sanktionen: Sollten Handelskonflikte (wie im Fall von Huawei oder Kaspersky) europäische Nutzer treffen, bleibt Nextcloud als europäische Lösung verfügbar.
Fazit: Souveränität ist kein Luxus, sondern eine Überlebensfrage
Das BMWET zeigt: Digitale Souveränität ist kein abstraktes Ziel, sondern ein machbarer Prozess – selbst in komplexen Behördenstrukturen. Drei Erkenntnisse für andere öffentliche Einrichtungen:
- Beginnt mit Pilotprojekten (wie die 1.200 Nutzer beim BMWET).
- Nutzt Open Source als Hebel für Unabhängigkeit – aber mit realistischen Migrationsplänen.
- Vernetzt euch mit Pionieren wie Schleswig-Holstein oder Frankreich, um Skaleneffekte zu nutzen.
„Europa muss lernen, seine digitale Infrastruktur selbst zu kontrollieren – sonst tun es andere für uns“, warnt Frank Karlitschek, Nextcloud-CEO. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann andere folgen werden.
Inwiefern sollte digitale Souveränität für Ihre Organisation Priorität haben – und welche ersten Schritte wären realistisch?
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